Von einer Zaubertänzerin in Paris und meiner Leidenschaft fürs Hier & Jetzt im Coaching
Immer noch sehe ich die kräftigen, leuchtenden Farben vor meinen Augen als tänzten die wilden Stoffe um mich herum gerade eben. Ich bin klein, die Tanzenden um mich herum groß, mächtig und prachtvoll. Mir ist, als würden sie mich in ihrem Schwung verschlingen. Sie drehen sich um mich herum wie Derwische in Sema, deren Ekstase immer mehr zu meiner wird.
Dann kommt das, was ich nie vergessen werde. Während sie tanzen, klatschen die Tänzerinnen auf einmal rhythmisch mit ihren Händen los, und immer wieder, immer wieder und zerstäuben dabei weißes, leichtes Pulver in die Luft, das dünne, zarte Wolken, wie aus Rauch gewoben, von einem unbeschreiblichen Duft verbreiten. Es ist mir nie schwergefallen, Düfte genau zu beschreiben. Doch für diesen fehlen mir die Wörter. Sie fehlten mir auch damals schon. Ich weiß nur, wie tief sich das wunderschöne, inspirierende Aroma in meinem Bewusstsein eingeprägt hat. Auch nach Jahrzehnten könnte ich diesen Duft zwischen Tausenden von ähnlichen Düften unterscheiden. Was ich nicht alles geben würde, um nur noch einmal daran riechen zu dürfen…
Der feine, weiße Staub fällt auf meiner Tracht wie Puderzucker, der durch ein Sieb geschüttet wird, und färbt meine Haare, fest geflochten in einem langen Zopf, in Weiß. Mir ist, als hätte ich einen Schatz noch ein bisschen länger bei mir behalten dürfen, der nicht der Meine ist. Noch ein paar Stunden länger bleibt dadurch der Zauberduft mit mir, bis ich am Abend, wie alle andere Tänzer auch, zurück angekommen im kleinen Motel in einer Vorstadt von Paris unter der Dusche alles abspülen werde, was der anstrengende Tanztag auf meinen Haut und Haaren hinterlassen hat.
Das Défilé, wie die Choreografen damals den Festivaltanzzug nannten, kommt zu Ende, nach mehreren Stunden ununterbrochenem Tanz. Etwas in mir bewegt sich. Meine elfjährigen Augen haben sich in einer Tänzerin verliebt, die mit ihren Händen klatschte und den Zauberstaub über uns verteilte. Ich kann gerade mal zwei Sätze auf English sagen. Sie reichen aus. Ich bekomme ihre Postanschrift. Sie notiert es selber in meinem kleinen Notizbuch im Umkleideraum. Ich stecke es in meiner Tasche stolz und glücklich – es ist meine größte Trophäe von dieser Tournee. Ich weiß damals noch nicht, dass meine Briefe nie ankommen werden.
Dafür drehen sich ihre Röcke in Anden-Farben noch immer wie wild in meinen Erinnerungen und zerstäuben die weißen Wolken von dem Zauberduft in meinem Gedächtnis, wann auch immer ich daran denke. Die magische Musik, zu der sich die Tänzerin inmitten von ihrem Ensemble bewegte, erinnert mich im Nu an der Ekstase, die die Elfjährige in mir damals zum ersten Mal empfunden hat. Ohne es zu merken, muss die tanzende Frau für sie ein Vorbild geworden sein, aber nur mein Unterbewusstsein wusste davon. Und meine kleinen Füße, die sich auf der Bühne von den engen Tanzschuhen von allein befreiten, wann immer sich die Schritte in der Tanzekstase wie Fliegen anfühlten und schneller wurden, als die Lederriemen aushalten konnten.
Der Tänzerin aus Cordoba begegnete ich während meiner ersten Tournee in Frankreich als Teil von einem Ensemble für bulgarische Folklore-Tänze. Dieser Moment ist längst vorbei. Kein einziges Bild davon. Kein Post auf Instagram. Keine Freundschaft in Facebook. Die schöne Tänzerin, die wilden Bewegungen, die krasse Duft – sie leben nur noch als Erinnerung, gespeichert in meinem Körper.
Es sind Momente und Begegnungen wie diese, die meine Leidenschaft für den jetzigen Moment entfacht haben – für die Erlebnisse, die durch uns gehen, und die sich nie wieder ein zweites Mal abspielen können. Später kam noch das Theater in meinem Leben – diese faszinierende Kunst, die in der Stunde geboren wird und wieder stirbt, in der sie auf der Bühne geschieht – ein bisschen wie das Leben selbst, Augenblick nach Augenblick.
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Ich werde oft gefragt, warum die Gruppen klein sind, mit denen ich in Trainings arbeite. Warum es jedes Thema nur ein Mal gibt. Warum ich in Einzelsitzungen die Menschen berate, mit denen ich zusammenarbeite, statt große online Veranstaltungen daraus zu machen, die einmal aufgezeichnet immer wieder, von vielen Menschen angeschaut werden können. Diese Fragen haben mich natürlich beschäftigt. Ich dachte immer wieder darüber nach. Ich hatte lange keine Antwort und habe immer noch keine. Doch ein bisschen schleicht sich in mir langsam die Vermutung ein, dass etwas in mir nur so geben kann oder möchte, wie mir der Zauberstaub damals dieses einmalige Gefühl gab, was für immer mit mir blieb…
Vielleicht bin ich einfach nicht dafür gemacht, denke ich mir manchmal. Auch wenn ich so viel Wert darin sehen kann, viele Menschen zugleich unterstützen zu dürfen. Doch zurzeit kommt mir meine Coaching-Arbeit mehr wie eine Theateraufführung vor auf einer kleinen Kammerbühne – um bei dem Theatermetapher zu bleiben – als wie eine Broadway-Show in einem großen Saal, die aufgezeichnet und immer wieder angeschaut werden kann.
Vielleicht habe ich bloß noch nicht die richtige Form gefunden. Ich weiss nicht, ob ich sie jemals finde. Ich hoffe sie kommt eines Tages zu mir. Oder auch nicht. Vielleicht, wenn die richtige Zeit da ist. Bis dahin gibt es nur die kleine Kammerbühne. Und jedes Stück wird im Jetzt geboren und stirbt mit Auslaufen der Stunde. Es gibt nur wenige Plätze und jede Aufführung gibt es nur ein mal. So wird sie niemand wieder erleben. Es gibt keine Aufzeichnung davon. Keine Bilder. Nur eine Erinnerung und den Duft dazu – wie meine von damals, an die Tänzerin aus Argentinien in Paris, die meine Lebenslust noch immer nährt.